Montag, 21. September 2015

Lois Lowry: Hüter der Erinnerung

- eine Dystopie

Inhalt
Jonas, ein Elfer, (wobei unklar ist, ob er wirklich erst elf Jahre alt ist), steht kurz vor seiner Auswahl. Dort wird entschieden, welchen Beruf er in Zukunft in der Gemeinschaft ausüben wird. Eine Gemeinschaft, die alles für ihre Mitglieder regelt - die Ernährung, die Schulausbildung, die Partnerschaften, für die man einen Antrag stellen muss, die Zuweisung von Kindern, die von Gebärerinnen zur Welt gebracht werden. Die Alten kommen ins Altenzentrum, bis sie "freigegeben werden", die Erwachsenen leben mit den kinderlosen Erwachsenen zusammen, sobald ihre beiden Kinder das Haus verlassen haben, um ihrerseits den Platz in der Gemeinschaft einzunehmen. Eine perfekte Welt? Ohne Kriege, Armut, Hunger, Schmerzen, aber auch ohne echte Emotionen. Sobald die Heranwachsenden "Erregungszustände" spüren, bekommen sie ein Pille, um die sexuellen Gefühle zu unterdrücken.

Jonas wird ausgewählt, zum Hüter der Erinnerungen ausgebildet zu werden. Dieser trägt alle Erinnerungen an frühere Zeiten in sich, damit sie bei Bedarf vom Ältestenrat zum Wohl der Gemeinschaft genutzt werden können. So gibt es z.B. keinen Schnee mehr - Klimakontrolle. Und keine Farben mehr, nur Jonas kann vor der Auswahl die Farbe rot erahnen, daher fällt die Wahl auf ihn. Konfrontiert mit echten Gefühlen, ändert sich die Sicht auf seine Welt...

Bewertung
Im Gegensatz zu den vielen Dystopien ist dieser Fantasyroman, der bereits 1993 erschienen ist, eine vergleichsweise kurze Lektüre mit nur 270 Seiten. Wieder präsent geworden, ist der Jugendroman, der inzwischen auch Schullektüre ist, durch den gleichnamigen Film, der letztes Jahr in die Kinos kam, (den ich aber noch nicht gesehen habe).

In der Kürze liegt meines Erachtens auch die Schwäche des Romans, der mit der Idee einer idealen Welt, in der Gleichheit herrscht, alles geregelt ist, eine zunächst verlockende Zukunft skizziert. Von dieser Welt möchte man mehr erfahren, doch die Autorin gibt nur teilweise Einblick in die Organisation dieser Welt und auch die Rolle des Hüters der Erinnerung hätte meines Erachtens ausführlicher geschildert werden können. Natürlich kann man dagegen halten, dass die eigene Fantasie die entsprechenden Lücken füllen sollte, aber mir sind die Personen zu flach gezeichnet. Gerade Jonas Verhalten, als er zum ersten Mal echte Emotionen erfährt, all diese Erinnerungen sammelt, ist unglaubwürdig. Man hätte erwartet, dass er zumindest mit seiner vermeintlichen Liebe Fiona darüber sprechen möchte oder es versuchen will. Dass er Gabriel rettet, ist nachvollziehbar, aber was bedeutet der Schluss? Der ist so vage und woher soll die Musik kommen, wenn die Welt doch in all ihren Gemeinschaften gleichgeschaltet  ist? Gibt es wirklich ein Andernswo? Hat ein Teil der alten Welt überlebt? Oder ist die Musik nur eine Vision, ein Traum, bevor Jonas stirbt?
Das Ende regt zum Nachdenken an und man stellt sich unweigerlich die Frage, wie die Gemeinschaft mit der Bürde der Erinnerungen umgeht. Und da wünscht man sich eine Fortsetzung...
Die es wohl auch gibt, die jedoch nur lose mit dem 1.Band zusammenhängt, schenkt man den Rezensionen dazu Glauben.
Fazit: Eine wirklich gute Idee, die mehr Ausarbeitung verdient hätte.

Buchdaten
Taschenbuch: 256 Seiten
Verlag: Deutscher Taschenbuch Verlag
Erschienen am: (1. Oktober 2008)
ISBN: 978-3423782258
Originaltitel: The Giver