Freitag, 9. September 2016

Oliver Hilmes: Berlin 1936

- Brot und Spiele.


Buchdaten
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
Verlag: Siedler Verlag
Erschienen am: 2. Mai 2016
ISBN-13: 978-3827500595

Ich habe dieses Buch im Rahmen einer Leserunde auf whatchareadin gelesen, der Austausch mit den Mitleser/innen hat mich darin bestärkt es zu Ende zu lesen, was ich anfangs nicht vorhatte.

Vielen Dank auch an das Bloggerportal, das mir dieses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.

Inhalt
Oliver Hilmes stellt die Ereignisse rund um die Olympischen Spiele in kleinen Episoden dar, die er sehr gut recherchiert hat und von die auf Tatsachen basieren.  Am Beginn jeden Tages steht der Wetterbericht für Berlin, es folgen unterschiedliche Eindrücke des Tages auf verschiedenen Perspektiven.
Einen roten Faden bilden dabei die Erlebnisse des Schriftstellers Thomas Wolfe, der auf Einladung des Rowohlt-Verlags nach Berlin gekommen ist und dessen anfängliche Begeisterung für diese Stadt und die Organisation der Spiele verblasst. Nach seiner Rückkehr nach Amerika veröffentlicht er eine autobiographische Erzählung, die "einerseits eine Liebeserklärung an Berlin, andererseits (...) eine wortgewaltige Abrechnung mit den Nazis und ihrem Regime" (S.278) ist.
Neben der Sicht des Literaten zeigen Goebbels Tagebuchaufzeichnungen einen nüchternen Blick auf die Spiele und verdeutlichen die gnadenlose Instrumentalisierung des Sportes für die machtpolitischen Ziele des NS-Regimes, auf die Hilmes immer wieder hinweist, indem er zum Beispiel Anweisungen der Gestapo zitiert. Erhellend sind auch die Tagesmeldungen der Staatspolizeistelle Berlins oder die Auszüge der täglichen Anweisungen der Reichspressekonferenz, die verdeutlichen, dass um jeden Preis der schöne Schein aufrecht zu erhalten ist.

Auch die sportliche Ereignisse kommen nicht zu kurz, wie das Ausscheiden der deutschen Mannschaft beim Fußball oder die Alibi-Jüdin der deutschen olympischen Mannschaft, die Fechterin Helene Mayer. Der Unwille Hitlers über die Siege des schwarzen Sprinterstars Jesse Owens dagegen sind hinlänglich bekannt.
Wirklich berühren die Geschichten der sogenannten "kleinen Leute", die im Fahrtwasser der Spiele untergehen. Wie zum Beispiel die kleine Elisabeth, deren Familie, da sie zu den Sinti und Roma gehören, im Rahmen der Olympiade aus dem Zentrum Berlins verbannt werden und unter menschenunwürdigen Bedingungen am Rande der Stadt zusammengepfercht werden. Diese Geschichten hätten noch stärker in den Vordergrund gerückt werden müssen, da sowohl die politischen als auch die sportlichen Ereignisse nicht Neues erzählen.

Die Darstellung der glamourösen Etablissements, denen eine Gnadenfrist während der Olympiade gewährt wird, um das Bild des mondänen Berlins aufrecht zu erhalten, wie das Beispiel des Quartier Latin zeigt, runden die Eindrücke, die Außenstehende während der olympischen Spiele haben, ab.
Der letzte Teil des Buches beleuchtet, was aus den einzelnen Personen nach den Spielen geworden ist.
So entsteht insgesamt ein interessantes Kaleidoskop der Olympischen Spiele in Berlin im Jahre 1936.

Bewertung
Zu Beginn ist es mir schwer gefallen, in den Roman hineinzukommen. Die Episoden sind zunächst sehr kurz, verschiedene Personen tauchen auf, Schicksale werden angedeutet, ein schneller Wechsel der Orte und Perspektiven erfolgt. Bis auf wenige Einzelschicksale tauchen die Figuren jedoch immer wieder auf und es spinnen sich rote Fäden, wie z.B. die Erlebnisse des Autors Thomas Wolfe oder Goebbels Tagebuchaufzeichnungen, die den Roman stringenter werden lassen.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass weniger Figuren eine größere Identifikationsfläche geboten hätten und man so eventuell tiefer in das Geschehen hätte eintauchen können. So berühren die Einzelschicksale, der Rest zieht vorüber, ohne tiefere Spuren zu hinterlassen.

Insgesamt entsteht ein facettenreiches "Gemälde" der 16 Tage im August, in denen es den Nationalsozialisten leider gelungen ist, einen Großteil der Besucher im Glauben zu lassen, sie hätten eine friedliche Gesinnung. Das Buch zeigt jedoch auf, dass es durchaus Menschen, wie Thomas Wolfe gegeben hat, die es vermochten, hinter den schönen Schein geblickt haben und verdeutlicht erneut die Unmenschlichkeit und Skrupellosigkeit des NS-Regimes. Dadurch gehört es für mich in die Reihe jener Werke gegen das Vergessen.