Sonntag, 15. Oktober 2017

Frankfurter Buchmesse 2017

- Besuch am Freitag.

Wie im letzten Jahr traf ich mich mit Mira auf der Buchmesse. Da wir beide als Bloggerinnen eine Akquirierung erhalten hatten, wählten wir den Freitag aus, in der Hoffnung, dass es etwas ruhiger zugehen würde - was sich zumindest teilweise bestätigt hat. Auch meine Kinder sowie eine Freundin meiner Ältesten waren mit von der Partie.

Unser erster Höhepunkt war das Interview mit Klaus Cäsar Zehrer zu seinem Debütroman "Das Genie" aus dem Diogenes Verlag.
Seinen ersten Roman habe er mit 16 Jahren verfasst, verrät er. Dieser sei jedoch nur zwei Seiten lang gewesen, so dass er ihn verworfen habe. "Das Genie" ist seiner Aussage nach eine Romanbiografie und basiert auf der realen Figur William James Sidis.

Klaus Cäsar Zehrer liest aus "Das Genie"
Die Idee kam ihm, als er beim Surfen im Internet auf eine Liste der 10 intelligentesten Menschen gestoßen ist, auf dem ihm der Name Sidis ins Auge fiel. Er wollte mehr über diese Person herausfinden, der Anfangsfaden für den Roman war gesponnen.
Vor 9 Jahren hat er mit der Arbeit begonnen, die  mit immenser Rechercheleistung verbunden war. Schließlich spielt der Roman zu Beginn des 19. Jahrhunderts und Zehrer gibt die wissenschaftlichen mathematischen Erkenntnisse der Zeit wieder, die heute teilweise überholt sind, so dass er in alten Lexika wälzen musste.
Sidis ist das Ergebnis eines Erziehungsexperimentes. Sein Vater, ein ukrainischen Einwanderer und Psychologe will beweisen, dass man Kinder zu intelligenten Wesen heranziehen kann. So bringt er Sidis ganz früh das Lesen bei und mit 11 Jahren besucht er bereits eine Universität. Wie bewertet man ein solches Erziehungsexperiment? Diese Frage sollen die Leser*innen selbst beantworten, Zehrer lässt sie offen.

Ann-Katrin Heger
In der kurzen Lesung vermittelt Zehrer einen ersten Eindruck des Romans, der durchaus auch humoristisch ist. Uns hat er jedenfalls überzeugt und Mira und ich haben spontan beschlossen, den Roman im Oktober gemeinsam zu lesen.

Im Anschluss blieben wir im Agora Lesezelt sitzen und hörten uns den Anfang des neuen Kriminalfalls der Drei !!! an - eine Lesung für die Kinder, die aber auch uns gefallen hat.
Ann-Katrin Heger, die Autorin von "Tanz der Herzen", vermochte es mit ihrer Stimme die Lesung spannend und interessant zu gestalten. Besonders gelungen war der Einstieg, in dem zur Musik von Schwanensee die letzte Szene der Ballettaufführung geschildert wird - sehr dramatisch.



Daniel Kehlmann mit Klaus Brinkbäumer
Danach schlenderten wir durch die Hallen, während die Kinder sich vor allem der Hobbit-Presse des Klett-Cotta-Verlages widmeten, pilgerten Mira und ich ins Spiegel-Forum, wo Daniel Kehlmann im Interview mit Klaus Brinkbäumer seinen neuen Roman "Tyll" vorstellte.

Die Sagengestalt des Till Eulenspiegel versetzt Kehlmann in den 30jährigen Krieg - ob die Person
wirklich gelebt hat? Es gibt eine Quelle aus dem 14.Jahrhundert, die dazu passt, trotzdem kann man die Frage letztlich nicht beantworten.

Zu Beginn des Romans übernimmt Kehlmann die Schelmengeschichte, in der Tyll auf einem Seil tanzt und alle Zuschauer auffordert, ihm den rechten Schuh zuzuwerfen. Damit richtet er ein heilloses Chaos an und bereitet das gewaltsame Chaos, das der Religionskrieg mit sich bringt, sozusagen vor.

Cartoon auf der Buchmesse
Die Gauklerfigur, die die Atmosphäre erträglich macht, ohne selbst eine lustige Figur zu sein.
Eine andere Funktion Tylls ist es, die verschiedenen Handlungsstränge zu verbinden. In der immobilen Gesellschaft des 17.Jahrhunderts vermag das fahrende Volk verschiedene Orte aufzusuchen und auch in Kontakt mit unterschiedlichen Gesellschaftsschichten zu treten.
Auch Kehlmann hat für seinen Roman umfangreich recherchiert. Geholfen hat ihm das einjährige Stipendium an der Public Library in New York. Dort erhielt er Zugriff auf alle Bücher und innerhalb eines Tages landeten sie auf seinem Schreibtisch. Die Erwartung vor Ort zu sein, half ihm die nötige Disziplin aufzubringen, um den Roman in recht kurzer Zeit fertigzustellen. Tauchte man drei Tage hintereinander nicht auf, wurde man freundlich kontaktiert, erzählte Kehlmann, der an New Yorker University zurzeit einen Lehrauftrag für deutsche Literatur hat. Gefragt nach Trump, erwiderte Kehlmann, dieser mache ihn wütend, gleichzeitig wecke er große Ängste.
Nach seiner Heimat befragt, nennt Kehlmann Wien, als den Ort, an dem er aufgewachsen sei. Im Moment sei es New York, da sein Sohn dort zur Schule ginge. Ein sehr interessantes Interview, das mich sehr neugierig auf den Roman gemacht hat.

Peter Wohlleben
Anschließend schauten wir uns das Gastland Frankreich an, um dann im ARD Forum, Peter Wohlleben zuzuhören, der sich mit dem Netzwerk der Natur beschäftigt hat. Er forderte dazu auf, Kinder im Wald nicht zu ermahnen, leise zu sein. Denn durch die lauten Rufe fühlte sich das Wild sicher und wisse, es könne ihm nichts passieren. Gefragt danach, welches Tier er gerne sei, gab er zur Antwort, ein Wolf. Allein das Dasein des Wolfes führe zu einer Stärkung des Waldes. Sei ein Wolf am Fluss, halten sich dort keine Hirsche mehr auf, die die jungen Bäume fressen. Das Flussufer werde befestigt, das Wasser könne mäandern und der Biber wieder ansässig werden. Mit einer Krähe würde er gerne mal einen Kaffee trinken, da sie sehr intelligente Tiere seien. Ein sympathischer Förster, der Unglaubliches aus der Natur berichtet.

Markus Heitz

Weiter ging es mit den Kindern zu Markus Heitz, der den zweiten Teil seines Fantasy-Romans Wédora vorstellte. Die Idee zu dieser fiktiven Welt stammt aus den in den 90er Jahren beliebten Rollenspielen, die er im Studium gespielt hat. Die Wédora-Welt habe er sich damals gemeinsam mit seinen Mitspielern ausgedacht und jetzt aus der Schublade gezogen. Markus Heitz plaudert mit dem Interviewer über die Protagonisten des Romans, ohne zu viel zu verraten, so dass wir alle neugierig geworden sind.

Als Fantasyliebhaber werden wir uns sicherlich in nächster Zukunft  der Wédora-Welt widmen.





Am Schluss wartete das Interview mit dem Gewinner des diesjährigen Deutschen Buchpreises: Robert Menasse, der auf die vielen auf ihn gerichteten Smartphones derart reagierte, dass er ein Foto von der Menschenmenge schoss, die gekommen war, um ihn zu sehen und zu hören.
Er erläuterte, dass er in seinem Roman das Abstraktum EU an einigen Figuren, u.a. an einem EU-Beamten veranschaulichen wollte. Dazu hat er selbst 5 Jahre in Brüssel gelebt und hinter die Kulissen der Europäischen Union geblickt. Anschaulich erzählte der gebürtige Wiener von den sogenannten Märtyrerpapieren, Entwürfe und Vorschläge für die EU-Kommission, die (fast) immer "zerrissen" werden. Am Beispiel der gescheiterten Jubiläumsfeier, die in Auschwitz als Geburtsort der Europäischen Union stattfinden sollte, verdeutlicht er, dass immer noch nationale Interessen die EU bestimmen. Auschwitz als Ort, der den Nationalismus als Aggressor in grausamster Art und Weise vor Augen führt, und gleichzeitig ein Ort, an dem die Nationalität keine Rolle mehr gespielt hat.
Menasse verteidigte vehement die europäische Idee und die Notwendigkeit eines vereinigten Europas, in dem sich nationale Interessen unterordnen - ein mitreißendes politisches Statement, das spontan Beifall erhielt.

Bevor wir uns auf den Heimweg machten, trafen wir noch kurz Helmut Pöll, Autor und Initiator des Forums whatchareadin, meine Leseheimat, und Renie von Renie´s Lesetagebuch, die ebenfalls als Moderatorin im Forum mitwirkt.

Fazit: Ein freudiges Wiedersehen mit Mira und ein interessanter, spannender Besuch, der mich neugierig auf viele weitere Bücher gemacht hat, die ich noch lesen will. Auch den Mädels hat es gefallen und die Wunschliste für Weihnachten wird wohl noch um ein paar Bücher wachsen.  Nächstes Jahr kommen wir wieder!