Donnerstag, 28. Dezember 2017

Lesejahr 2017

- Lesefreundinnen, Leserunden, Leseexemplare.

Ich finde es immer sehr schwierig, das Lese-Highlight des letzten Jahres festzulegen. Es gab wie jedes Jahr viele gute Bücher, von denen einige einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.
Wenn ich die Titel des letzten Jahres Revue passieren lassen, fallen mir mehrere ein, die ich richtig gut fand. Daher möchte ich auch keinen einzelnen Roman hervorheben, sondern einige vorstellen, die für mich in diesem Jahr eine besondere Bedeutung hatten - und das aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Im Gegensatz zu meinen Blogbeiträgen, die, wie Lesefreundinnen mir rückmelden, eher sachlich orientiert sind, wird es dieser Beitrag ein subjektiv gefärbter Rückblick. Wer mehr über den Inhalt der einzelnen Romane erfahren will, kann gerne die einzelnen Posts dazu lesen....


Der Roman, der mich definitiv in diesem Jahr am meisten beschäftigt hat, ist Paul Austers "4321", den ich gemeinsam mit meiner lieben Freundin Mira gelesen habe. Die ausgetauschten Sprachnachrichten während der Lektüre dürften in die Hunderte gehen. Immer wieder haben wir uns über die vier verschiedenen Lebenswege von Archie Ferguson ausgetauscht, die Stationen verglichen, den Überblick verloren, Bäume gezeichnet und uns überlegt, was es mit dem Titel auf sich hat. Ein Rätsel, das glücklicherweise am Ende aufgelöst wird.



Als sehr strukturierte Leserin war dieser Roman eine besondere Herausforderung für mich, da ich mich bemüht habe, die vier möglichen Lebenswege, die Auster für seinen Protagonisten erfindet, auseinander zu halten. Trotz einiger Längen kann ich die Kritik an dem Roman nicht nachvollziehen, ich fand ihn einfach großartig und hätte Archies Geschichte auch noch weiter verfolgen können. Am Schluss fügt sich alles zusammen und man hat einiges über die amerikanische Geschichte des letzten Jahrhunderts gelernt.

Insgesamt haben Mira und ich im letzten Jahr 10 Romane gemeinsam gelesen, "Tyll" erwartet uns zum Jahreswechsel.

Ein große Überraschung in diesem Jahr war das Hörbuch "Schuld und Sühne", über das ich tatsächlich mal nicht geschrieben habe - nur in meinem Lesetagebuch bei whachtareadin und im Austausch mit Literaturhexle, die ich in diesem Jahr ebenfalls im Forum kennen gelernt habe.
Ein persönliches Treffen steht noch aus, aber lange Telefonate haben wir schon geführt ;)
Mit ihr habe ich eine weitere Lesefreundin gefunden, mit der ich mich austausche und die bereit ist, mit mir die Klassiker zu hören, die ich immer schon mal lesen wollte. Wie eben "Schuld und Sühne" und im Dezember Madame Bovary, zu der sie freundlicherweise eine Gastrezension beigetragen hat. Auch im kommenden Jahr steht der erste Klassiker schon fest: Mansfield Park von Jane Austen.


Der Pageturner in diesem Jahr ist der Roman "Palast der Finsternis" von Stefan Bachmann, dessen Steampunk-Fantasy Romane  "Die Seltsamen" und "Die Wedernoch" mich bereits im letzten Jahr begeistert haben. Die Geschichte erzeugt beim Lesen einen Sog, so dass man einerseits kurz vor der französischen Revolution gemeinsam mit Aurélie in einen unterirdischen Palast gezogen wird, den ein Adliger zu seinem persönliches Schutz und für wissenschaftliche Experimente erbaut hat. Andererseits erforscht man diesen düsteren Palast mit Anouk und vier weiteren Jugendlichen in der Gegenwart, die das Geheimnis des Palastes in einer atemberaubenden Jagd in der Tiefe lüften. Extrem spannend. Ich war so begeistert, dass ich meine Tochter (14) genötigt habe, den Roman zu lesen, die ihn direkt an ihre Freundin weiter gegeben hat, dann noch an einen lesebegeisterten Freund - so sollte das sein ;)

Mit meiner jüngsten Tochter habe ich dagegen einen Kinderbuchklassiker in diesem Jahr gelesen, der uns wegen seiner Ruhe fasziniert hat: Der geheime Garten von Frances Hodgson Burnett, der ohne magischen Kräfte auskommt, aber mit dem Zauber der Natur verführt. Eine wunderschöne Geschichte, die sich gut zum Vorlesen eignet und die erstaunliche Wandlung eines jungen Mädchens zeigt - von einer verwöhnten, störrischen Göre zu einer liebenswerten, hilfsbereiten Freundin.




Allerdings habe ich in diesem Jahr nicht nur mit Lese-Freundinnen und Kindern gelesen, sondern auch wieder an zehn großen Leserunden bei whachtareadin teilgenommen. Durch den gegenseitigen Austausch ist die Lektüre viel intensiver und manche Diskussionen führen zu neuem Verständnis, so auch beim Roman "Die See" von John Banville, dessen Sprache mich schlichtweg umgehauen hat. Ich hätte Hunderte Sätze herausschreiben können, in der Metaphorik schwelgen können - definitiv das sprachliche Highlight in diesem Jahr.


"An der See besteht alles aus schmalen Waagerechten, die ganze Welt reduziert sich auf ein paar lange, gerade, zwischen Erde und Himmel gezwängte Linien." (S.14)

Inhaltlich tauchen wir in die Gedanken des Schriftstellers Max ein, dessen Frau gerade verstorben ist. Am Ort, an dem er in der Kindheit immer seine Ferien verbracht hat, überfluten ihn die Erinnerungen an längst Vergangenes, aber auch an kürzlich Geschehenes. Der ambivalente Charakter des Protagonisten, der auf der Suche nach seiner Identität ist, hat für viel Diskussionsstoff gesorgt.

Steht dieser Roman exemplarisch dafür, dass ich mich im letzten Jahr verstärkt den englischen und amerikanischen Autoren zugewandt habe, wie McEwan, Auster, Boyle, Graham Greene, R.Bradbury, so lese ich immer noch gerne Kriminalromane. Und da gibt es viele, die mich in diesem Jahr überzeugt haben - jeder auf seine Weise. Wie Isabella Archan mit ihren komischen Krimis, obwohl ich die eigentlich sonst nicht mag, oder Friedrich Ani, mit seinem stillen und ruhigen Roman "Ermordung des Glücks" sowie Tana French, deren Sprache mich ebenfalls begeistert und der es mit ihren psychologischen Krimis immer wieder gelingt eine dichte, intensive Atomsphäre zu schaffen, die einen beim Lesen ins Geschehen hineinzieht.

Und dann gibt es doch einen Roman, der mich zutiefst berührt hat: "Unsere Seelen bei Nacht" von Kent Haruf, den ich nach dem Lesen ganz oft verschenkt habe.
Ein wunderbares Buch, in dem eine ältere Dame, Witwe, ihrem Nachbarn, ebenfalls alt und verwitwet, den Vorschlag unterbreitet, nachts in ihr Bett zu kommen - zum Reden, damit sie beide nicht allein sein müssen. Die Einsamkeit im Alter ist ein großes Tabu in unserer Gesellschaft und dementsprechend fallen die Reaktionen in der Kleinstadt aus. Der Mut dieser beiden sich dem zu widersetzen ist großartig. Dass sie dann vorläufig am Einspruch ihrer Kinder scheitern, tragisch. Für mich eines der besten Bücher im letzten Jahr - ein besonderer Liebesroman, der die Seele berührt.


Meinem Blog-Namen bin ich auch im Jahr 2017 treu geblieben, allerdings hat sich der Fokus etwas verschoben. Der Fantasy-Anteil ist geringer, die amerikanischen und englischen Autoren sind stärker vertreten, ebenso die Klassiker. Mal sehen, was mich im nächsten Jahr erwartet.