Freitag, 26. Januar 2018

Markus Zusak: Der Joker

- und die Botschaften.

Lesen mit Mira

Seit über einem Jahr lesen Mira und ich jetzt schon jeweils am Monatsende einen Roman gemeinsam, gerne auch einen Jugendroman. Da wir beide "Die Bücherdiebin" kennen, liegt es nahe, auch diesen zu lesen, für den Zusak im Jahr 2007 den Deutschen Jugendliteraturpreis erhalten hat.

Worum geht es?
Im Mittelpunkt steht Ed Kennedy, aus dessen Ich-Perspektive die Handlung erzählt wird und der sich selbst den Leser/innen vorstellt:

"Mein Name lautet Ed Kennedy. Ich bin neunzehn Jahre alt. Eigentlich zu jung, um als Taxifahrer zu arbeiten. Ich bin ein typisches Beispiel für viele der jungen Männer, denen man in diesem provinziellen Außenposten der Großstadt begegnet - man hat hier einfach kaum Perspektiven oder Möglichkeiten." (S.12)

Eds Vater, ein stiller Alkoholiker, ist vor kurzem gestorben, seine Mutter verhält sich ihm gegenüber lieblos und distanziert, während seine drei Geschwister alle die Stadt verlassen haben.
Neben dem Taxifahren verbringt er die Abende mit seinen Freunden Marv, der eine Schrottkarre fährt und unglaublich geizig ist, und Richie, der von der Sozialhilfe lebt und keine Lust auf gar nichts zu haben scheint. Mit von der Partie ist auch die hübsche Audrey, die ebenfalls Taxi fährt und in die Ed verliebt ist.
Allerdings kommt Audrey, genau wie Ed aus schwierigen familiären Verhältnissen und will sich nicht auf eine echte Liebesbeziehung einlassen, obwohl sie ihn offenkundig ebenfalls liebt.
Beide leben jeweils allein ein einer "Hütte" (S.25) - Eds Mitbewohner ist der stinkende Hund "Türsteher", der jeden freudig begrüßt ;) und mit dem Ed die schönsten Gespräche führt.

Zu Beginn gerät Ed in einen Banküberfall, der offenkundig von einem Amateur durchgeführt wird, so dass es Ed gelingt, ihn an der Flucht zu hindern. Er wird kurzfristig zum lokalen Helden, während der Bankräuber, der ins Gefängnis muss, ihn bedroht:

"Du bist ein toter Mann. Wart´s nur ab (...). Denk dran, was ich dir gesagt habe. Denk jeden Tag daran, wenn du in den Spiegel schaust." (S.52)

Zeitgleich findet Ed eine Spielkarte in seinem Briefkasten - das Karo-Ass, auf dem drei Adressen und eine Uhrzeit stehen. Schnell wird Ed klar, dass er dorthin gehen muss. Gleich bei der ersten Adresse erwartet ihn ein sich abendlich wiederholendes Verbrechen - ein Mann, der seine Frau missbraucht.

"Es ist so, las ob ich auserwählt wäre. Aber auserwählt wozu?, frage ich mich. Die Antwort ist ganz einfach. Damit es nicht egal ist" (S.57)

...dass so etwas geschieht und möglich ist. Und in der Tat scheint Ed von jemand Unbekanntem dazu auserkoren, anderen Menschen Gutes zu tun, ihnen Botschaften zu überbringen.

Vier Asse - vier mal drei Aufgaben, die auf eine kreative Lösung warten. Immer näher dringen sie in sein unmittelbares Umfeld vor. Ganz am Ende wartet der Joker auf ihn.

Bewertung
Ein bemerkenswerter Roman und das aus vielerlei Hinsicht:

1. Der Aufbau ist interessant - 5 Teile, jeweils ein Ass und der Joker stehen für einen Teil. Die Kapitel gehen von Ass-König (also jeweils 14) und enthalten jeweils drei Botschaften, die Ed "überbringen" muss. Ausnahme bildet der letzte Teil, in dem sich die Frage nach dem Joker löst.

2. Die Sprache ist außergewöhnlich. Neben der Ansprache an die Leser/innen und sehr kurzen Sätzen, manchmal nur einzelne Worte,

"Du weißt wahrscheinlich bereits, was ich in der Angelegenheit Edgar Street beschlossen habe zu unternehmen. Zumindest wenn du begriffen hast, wie ich bin.
Zögerlich.
Nachgiebig.
Schwach." (S.61)

stehen derbe Ausdrücken unter den Jugendlichen ungewöhnlichen Bildern gegenüber.

"Die Gewalt mischt sich ein. Sie bohrt ihre Finger in alles was sie zu fassen kriegt, und reißt es auf. Alles fällt entzwei, und ich verfluche mich selbst, weil ich so lange damit gewartet haben, dem ein Ende zu bereiten." (S.101)

3. Der Protagonist wird, obwohl er zunächst wie ein Loser wirkt, der zu schwach und antriebslos ist, irgendetwas zu bewegen, immer sympathischer und wächst an seinen Aufgaben. Er entwickelt sich, schöpft aus den geglückten Botschaften Kraft und verändert Schritt für Schritt sein Leben.

4. Der Schluss, den ich nicht vorwegnehmen will, hat eine klare "Lehre". Sinngemäß: Auch du - wie schwach du auch sein magst - kannst die Welt zu einer besseren machen.
Das mag jetzt simpel und banal klingen, aber wenn dies alle tun würden...
Insgesamt werden christliche Werte, wie Hilfsbereitschaft, Menschlichkeit und gegenseitige Achtsamkeit in den Vordergrund gestellt, eine Botschaft, die ihre Aktualität nicht verliert.

5. Der Roman berührt beim Lesen. Einige der Botschaften, die Ed übermittelt, sind nicht weltbewegend, es sind Kleinigkeiten. Freundlichkeiten, die das Leben schöner machen, wie für die allein erziehende Mutter, die von ihrem kargen Gehalt ihren Kindern einmal in der Woche ein Eis kauft. Und sie selbst? Wer kauft ihr eins?

6. Während der Handlung werden auch einige Romane erwähnt, zufällig gerade solche, die ich im letzten Jahr gelesen habe, wie "Sturmhöhe" oder "Schuld und Sühne" - eines der Asse enthält sogar nur Namen von Autoren. Die intertextuellen Bezüge zeigen das Entwicklungspotential Eds, aus dem er nur schöpfen muss.

7. Einen Kritikpunkt muss ich noch loswerden. Zwei der Botschaften werden mittels Gewalt übermittelt und auch Ed wird zu Beginn von Unbekannten gewaltsam aufgefordert seinen Aufgaben nachzukommen. Gewalt als Lösung? Als Weg zur Veränderung? Diese Episoden erscheinen mir - und da bin ich mit Mira einer Meinung - etwas dubios. Dem gegenüber stehen glücklicherweise liebevolle, empathische Verhaltensweisen, die zum Ende hin überwiegen.

8. Der Roman ist sehr spannend, gerade mal in drei Tagen habe ich ihn verschlungen. Die gestellten Aufgaben und der Aufbau verführen dazu, dass man einen Teil zu Ende lesen will. Und weil es gerade so schön ist, weiterlesen ;)

Hier geht es zu Miras Rezension.

Taschenbuch, 446 Seiten
cbt-Verlag, 2006